Die Verschwiegenheitspflicht eines Rechtsanwaltes / einer Rechtsanwältin (siehe § 9 RAO) wirkt nicht absolut. Ein pauschaler Verweis auf die Verschwiegenheitsverpflichtung ist keine ausreichende Antwort auf ein Auskunftsersuchen.
Das BVwG hat am 27.9.2018 eine Entscheidung zum Verhältnis der beruflichen Verschwiegenheit von Rechtsanwälten/Innen gefällt, und sich mit der Frage des Verhältnisses des Auskunftsanspruches gem. Art 15 DSGVO und der gesetzlich normierten beruflichen Verschwiegenheit des Rechtsanwaltes auseinandergesetzt.
Die Rechtsanwältin, die im Verfahren betroffen war, erhielt von einer Gegnerin am 02.09.2015 (!) folgendes Auskunftsverlangen (noch unter § 26 DSG 2000):
"Betrifft: Auskunftsbegehren gemäß § 26 DSG 2000
Sehr geehrte Frau Dr. K.!
Hiermit begehre ich von der X- Rechtsanwalts-Partnerschaft sowie von Ihnen schriftlich Auskunft gemäß § 26 Abs. 1 DSG 2000 an meine Wohnadresse YYY. Meine Identität weise ich durch beiliegende Kopie meines Führerscheines nach.
Ein Auskunftsbegehren bezieht sich auf sämtliche verarbeitete Daten, die Informationen über ihre Herkunft, allfällige Empfänger oder Empfängerkreise von Übermittlungen, den Zweck der Datenverwendung sowie die Anführung der Rechtsgrundlagen hierfür in allgemein verständlicher Form.
Ich begehre auch die Angabe von Namen und Adresse von mit der Verarbeitung meiner Daten beauftragten Dienstleistern.
Mein Auskunftsbegehren bezieht sich insbesondere auf die im Rahmen ihres Mandates für den XXXX verwendeten Daten. Damit in Verbindung habe ich Ihnen bereits am 26.11.2014 ein Löschungsbegehren gemäß § 27 DSG 2000 übermittelt, dieses blieb jedoch unbeantwortet. Mein Auskunftsbegehren bezieht sich daher insbesondere auf die Rechtsgrundlage der Speicherung meiner E-Mail-Adresse XXXX
Im Übrigen stehe ich für jede zumutbare Mitwirkung zur Verfügung. Dieses Auskunftsbegehren bezieht sich ausdrücklich ausschließlich auf den aktuellen Datenbestand und ist man erstes. im Kalenderjahr 2015. Es richtet sich an die X-Rechtsanwalts-Partnerschaft sowie an Sie in eigenem Namen.
In dieser Angelegenheit bin nicht derzeit anwaltlich noch nicht vertreten
Hochachtungsvoll
R."
Die Rechtsanwältin beschränkte sich darauf am 02.09.2015 (!) eine
Negativauskunft zu geben, und auf die berufliche Verschwiegenheit hinzuweisen:
"Betrifft: Auskunftsbegehren gemäß § 26 DSG 2000
Sehr geehrter Herr Mag. R.!
Ich beziehe mich auf Ihr Schreiben vom 02.09.2015. Wie Sie wissen vertreten wir den XXXX Ihnen gegenüber in einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit. Gemäß § 9 Abs. 2 RAO sind wir als Rechtsanwaltskanzlei zur Verschwiegenheit über die uns anvertrauten Angelegenheiten verpflichtet. Soweit das soeben genannte Mandatsverhältnis betroffen ist, können wir Ihnen daher keinerlei Auskünfte erteilen. Außerhalb dieses Mandatsverhältnisses wurden und werden von uns keine Daten zu ihrer Person verarbeitet, abgesehen davon, dass wir Ihr nunmehriges Schreiben natürlich bei unseren Unterlagen abspeichern und nach Maßgabe der Interessen unseres Mandanten allenfalls davon Gebrauch machen werden.
Mit freundlichen Grüßen
K."
Die Datenschutzbehörde hat mit Bescheid vom 15.03.2016 (!) entschieden, dass eine Verletzung des Auskunftsrechts vorliegt, da im Schreiben vom 02.09.2015, mit dem die Auskunft verweigert wurde, keine ausreichende Begründung angegeben wurde.
Dagegen erhob die Rechtsanwältin Beschwerde an das BVwG, das den Sachverhalt, der sich vor dem 25.05.2018 ereignet hat, nach der DSGVO beurteilte. (siehe dazu auch den Blogbeitrag vom 25.11.2018).
Im Rahmen des Verfahrens vor dem BVwG hatte die Rechtsanwältin noch die Möglichkeit eine Stellungnahme abzugeben, und sie bezog sich explizit auf den novellierten § 9 Abs 3a RAO.
Das BVwG hat dazu am 27.09.2018 entschieden, dass die rechtsanwaltliche Verschwiegenheitsverpflichtung nicht absolut gilt, sondern „Geheimnisse schützt, die irgendjemand einem Rechtsanwalt im Hinblick auf dessen berufliche Sphäre anvertraut oder mitteilt.“
Die berufliche Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte wird daher nicht „absolut“, was sich auch explizit aus § 9 Abs 2 RAO ergibt, sondern besteht nur in Relation zum Geheimhaltungsinteresse des Mandanten.
Nach Art. 23 DSGVO können in Rechtsvorschriften Beschränkungen der Rechte der betroffenen Personen vorgesehen werden, sofern die Beschränkungen den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achten und in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme darstellt. Auch Berufsgeheimnisse können als derartige Ausnahmen angesehen werden. So kann etwa dann eine Auskunft verweigert werden, wenn der Auftraggeber bei voller Auskunftserteilung in einem anhängigen Rechtsstreit mit dem Auskunftswerber seine eigene Prozesssituation schwächen würde (vgl. dazu Dohr/Pollirer/Weiss/Knyrim, DSG2 noch zum "alten" § 26 DSG 2000 Anm 21).
Bei den Ausnahmen von den Rechten der betroffenen Personen ist jedoch zu beachten, dass dadurch ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht eingeschränkt wird, und daher ist jede Ausnahme restriktiv auszulegen.
Jede Auskunftsverweigerung ist gem. Art 12 Abs 4 DSGVO zu begründen, damit in einem etwaigen Verfahren vor der DSB eine Klärung herbeigeführt werden kann, ob die Gründe ausreichend sind, dass die Auskunft verweigert werden kann.
Wenn daher eine Auskunft insbes. auf die Verarbeitung von Kontaktdaten (zB Email-Adresse) und deren Herkunft Bezug nimmt, ist nicht erkennbar, wie die Interessen der eigenen Partei (im Rahmen der beruflichen Verschwiegenheit) betroffen sind, wenn diese Datenkategorien beauskunftet werden.
Bei Kontaktdaten ist davon auszugehen, dass diese der betroffenen Person selbst bekannt sind. Die betroffene Person wollte insbes Auskunft zur Verarbeitung ihrer Email-Adresse, welche nicht für rechtlich relevante Zustellungen und/oder Exekutionen notwendig ist.
Wenn daher durch die Bekanntgabe der Daten im Rahmen der Auskunft die Prozesssituation des Mandanten des Verantwortlichen nicht geschwächt wird, dann ist die Auskunft nach Ansicht des BVwG zu erteilen. „Daraus folgt, dass die Kontaktdaten (Name, Adresse, E-Mail-Adresse u.dgl.) der mP auf deren Verlangen an sie zu beauskunften sind, da hier kein erkennbares Geheimhaltungsinteresse des Mandanten besteht.“
Ein Rechtsanwalt kann jedoch keinesfalls mit Hilfe eines datenschutzrechtlichen Auskunftsbegehrens verpflichtet werden, „Auskunft über den Inhalt von Urkunden, die sein Mandant übergeben hat, oder über den Inhalt einer E-Mail-Korrespondenz mit dem Mandanten zu geben, die dem Berufsgeheimnis unterfallen, auch wenn solche Dokumente automationsunterstützt verarbeitete Daten eines Auskunftswerbers enthalten sollten.“
Es ist daher eine Interessensabwägung notwendig, und daher muss ein Rechtsanwalt eine Verweigerung des Auskunftsersuchens nachvollziehbar begründen, damit die widerstreitenden Interessen von der überprüfenden Behörde geprüft werden können, ohne den Dateninhalt einsehen zu müssen.
Im Rahmen eines Auskunftsbegehrens müssen daher Rechtanwälte in Bezug auf die angefragten Datenkategorien prüfen, inwieweit hier eine Abwägung nach § 9 Abs. 2 RAO tatsächlich zu einer berechtigen Geheimhaltung dieser Daten gegenüber der betroffenen Person führt und eine Verweigerung ist zumindest so zu begründen, dass dies die betroffene Person und die DSB bzw. überprüfende Gerichte nachvollziehen können.
Die Erläuterungen zu § 9 Abs. 3a RAO idF des Materien-Datenschutz-Anpassungsgesetzes 2018 führen dazu aus: "Die Beschränkung der Betroffenenrechte geht (nur) so weit, wie dies das Recht des Rechtsanwalts auf Verschwiegenheit zur Sicherstellung des Schutzes der Partei oder der Rechte und Freiheiten anderer Personen oder der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erfordert, ist also lediglich punktuell und erfolgt unter klar definierten Voraussetzungen. Allfällige Kontrollbefugnisse der Datenschutzbehörde als Aufsichtsbehörde bleiben unberührt." Eine verfassungskonforme Interpretation der genannten Bestimmungen führt daher zum Schluss, dass eine "Erforderlichkeit" im Sinne dieser Bestimmung vom Verantwortlichen geprüft werden muss. Auch muss eine Überprüfung der Verweigerung einer Auskunftserteilung zumindest hinsichtlich der Plausibilität dieser Verweigerung möglich sein (§ 25 Abs. 3 DSG {neu] war für die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht anwendbar). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin nunmehr im gerichtlichen Verfahren einen E-Mail-Verkehr übermittelt hat, "der kaum das Mandatsverhältnis betreffende Informationen enthält" (diese wurden geschwärzt), die offenbar nicht so geheim sind, dass sie nicht der mP im Rahmen eines allfälligen Parteiengehörs (oder schon vorher im Rahmen der Beantwortung des Auskunftsbegehrens) vorgelegt werden könnten (hätten werden können).
Fazit:
Bei einem Auskunftsantrag von Personen, die nicht Mandanten des/der Rechtsanwaltes/Rechtsanwältin sind, ist im Detail im Einzelfall zu prüfen, ob die Auskunftserteilung zu einer Beeinträchtigung der Verschwiegenheitsverpflichtung führt. Wenn zB die betroffene Person bereits weiß, dass ein Mandatsverhältnis zu einem/r Rechtsanwalt/Rechtsanwältin besteht, und auch die eigene Rolle (Zeuge, Gegner…) kennt, dann sind diejenigen Daten zu beauskunften, die nicht zu einer Beeinträchtigung der Prozesssituation des eigenen Mandanten führen.
Wenn aber die betroffene Person „ins Blaue hinein“ bei einem/r Rechtsanwalt/Rechtsanwältin anfragt, ob er/sie personenbezogene Daten verarbeitet, und zB der/die Rechtsanwalt/Rechtsanwältin noch gar nicht in diesem konkreten Fall nach außen hin tätig wurde, sondern nur Beratungsleistungen erbracht hat (zB Scheidungsberatung und Anfrage des Ehepartners), dann kann bereits die Bekanntgabe der Tatsache, dass die Kontaktdaten der betroffenen Person verarbeitet werden, eine Verletzung der beruflichen Verschwiegenheitsverpflichtung darstellen.
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Georgina Romanescu (Montag, 17 Dezember 2018 11:12)
1. Diese Entscheidung liegt jetzt beim VfGH (mit Eventualantrag auf Abtretung an VwGH), da in verfassungsgesetzlich geschützte Rechte (Art. 8 EMRK) eingegriffen wird, und das Gericht überdies in verfassungswidriger Weise nicht durch den gesetzlichen Richter(-senat) entschieden hat (Umverteilung der Sache durch Verfügung der Justizverwaltung, vermutlich wegen Unwilligkeit der nach der Geschäftsverteilung zuständigen Abteilung).
2. Morgen dürfte die Bestellung der DSB-Leitung auf der TO des Ministerrats stehen. Wer da wohl ein Weihnachtsgeschenk erwarten kann?
Thomas Schweiger (Mittwoch, 19 Dezember 2018 09:49)
Danke Georgina Romanescu für die interessante Information.
Ich wäre interessiert an der Argumentation im VfGH-Verfahren.
lG
dataprotect | Thomas Schweiger