Die beschwerdeführende Person im Verfahren vor der DSB (zB bei einem Verfahren um Löschung oder Auskunft) hat Akteneinsicht in die vom Verantwortlichen vorgelegten Unterlagen, die uU Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten. Kann das verhindert werden?
Oftmals muss der Verantwortliche interne Unterlagen oder sonstige Unterlagen, aus denen sich uU Betriebs- und Geschäftsgeheimnis ergeben könnten, oder Unterlagen die einer vertraglichen Geheimhaltungsverpflichtung unterliegen, im Behördenverfahren vorlegen, um den eigenen Standpunkt beweisen zu können.
Wie kann verhindert werden, dass andere Personen Einsicht in diese Unterlagen erhalten?
In einem aktuellen Verfahren vor der DSB hat der Verantwortliche Unterlagen vorgelegt, die im Rahmen des § 17 Abs 3 AVG von der Akteneinsicht ausgenommen wurdne.
Das Recht auf Akteneinsicht bezieht sich auf alle Unterlagen, die sich auf die Sache beziehen, dh auf den gesamten Akt.
AVG § 17 Abs 1
„Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können die Parteien bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen. Soweit die Behörde die die Sache betreffenden Akten elektronisch führt, kann der Partei auf Verlangen die Akteneinsicht in jeder technisch möglichen Form gewährt werden.“
Nur § 17 Abs 3 AVG legt „anderes“ iSd § 17 Abs 1 AVG fest (VwGH 20.11.2002 2002/09/0093), sodass diese Bestimmung eine iSd Art 11 Abs 2 B-VG selbst normierte Einschränkung der Akteneinsicht darstellt.
Zu den Unterlagen iSd § 17 Abs 1 AVG zählen nicht nur Schriftstücke, die im Verfahren selbst entstanden sind (zB Schriftsätze, Niederschriften), sondern alle schriftlichen, gedruckten oder elektronisch gespeicherten Texte, Zeichnungen, Lichtbilder (vgl VwSlg 13.390 A/1991) oder sonstigen Gegenstände. Aktenbestandteil ist nämlich alles, was die Behörde zum Zweck der Beweissicherung anlegt (VwGH 17. 6. 1966, 755/65).
AVG § 17 Abs 3.
„Von der Akteneinsicht sind Aktenbestandteile ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.“
Nach dieser Bestimmung sind alle Aktenbestandteile von der Einsicht insoweit ausgenommen, als der Einsichtnahme bestimmte legitime Interessen entgegenstehen. Dadurch wird kein Ermessen der Behörde begründet, sondern es ist Aufgabe der Behörde im Rahmen einer Interessenabwägung vorzugehen.
Die Behörde darf daher weder den Parteien noch Dritten Einsicht in Aktenbestandteile gewähren, als dadurch eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen herbeigeführt wird.
Der Begriff „berechtigte Interessen“ (vgl auch § 1 Abs 2 DSG) ist weitergehend als die „rechtlichen Interessen“ iSd § 8 AVG, da ansonsten diese Personen ohnehin Parteistellung im Verfahren hätten. Auch wirtschaftliche Interessen sind von diesen Interessen umfasst: wie zB das Interesse am Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder auch sonstige berechtigte Interessen, also etwa das Interesse eines Zeugen oder einer Auskunftsperson am Unterbleiben von „Repressalien“.
Fazit:
Es ist wesentlich, dass Verantwortliche im Rahmen ihrer Vorbringen und der Vorlage von Beweismitteln im Beschwerdeverfahren vor der DSB ihre Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und sonstigen berechtigten Interessen (zB auch von Mitarbeiter*Innen) wahren.
Dazu ist es notwendig, einen Antrag auf Ausnahme von der Akteneinsicht iSd Art 17 Abs 3 AVG zu stellen und nachvollziehbar dazustellen, welche konkreten berechtigten Interessen beeinträchtigt werden (könnten), wenn die beschwerdeführende Partei Einsicht in die vorgelegten Unterlagen erhalten würde.
Die DSB hat eine Interessabwägung vorzunehmen, und tut dies auch, wie insbes. auch ein Bescheid vom 29.09.2021, 2021-0.568.642, darlegt, da in diesem Verfahren die Behörde den Verantwortlichen zur Vorlage der Unbedenklichkeitserklärungen iSd § 151 Abs 4 und 5 ihrer Datenlieferanten im Rahmen von Adressverlagen aufgefordert hat, diese auch vorgelegt wurden, aber von der Akteneinsicht ausgenommen wurden.
„7. Mit Erledigung vom 12. August 2021 forderte die Datenschutzbehörde die Beschwerdegegnerin zur Vorlage der von ihr angeführten Erklärungen der Datenlieferanten im Sinne von § 151 Abs. 4 und 5 GewO auf.
8. Mit Eingabe vom 20. August 2021 legte die Beschwerdegegnerin die angeforderten Unterlagen vor, welche aufgrund eines entsprechenden Antrags gem. § 17 Abs. 3 AVG von der Akteneinsicht ausgenommen und folglich den Beschwerdeführern im Rahmen des Parteiengehörs nicht übermittelt wurden.“
Auszug aus der Entscheidung der DSB (Hervorhebung durch den Verfasser):
„2.) Im Ausnahmefall kann sich jedoch die Zulässigkeit einer Bescheidbegründung anhand von Beweismitteln, die von der Akteneinsicht ausgenommen sind, aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Oktober 2019, E 1025/2018, ergeben, wonach die Interessen von Verfahrensparteien auf Zugang zu verfahrensrelevanten Informationen mit den Interessen von Verfahrensparteien auf Schutz vertraulicher Angaben und Geschäftsgeheimnisse in Konkurrenz treten.
3.) Konkret führte der Verwaltungsgerichtshof aus (Hervorhebung durch Datenschutzbehörde): „Weder das grundrechtlich durch Art. 6 EMRK im Rahmen des Prinzips der Waffengleichheit gewährleistete Recht auf Zugang zu Verfahrensakten noch das grundrechtlich insbesondere durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen vermögen eine absolut geschützte Rechtsposition zu begründen. Vielmehr ist im Verwaltungsverfahren bzw. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren das Zugangsrecht zu entscheidungsrelevanten Informationen gegen das Recht anderer Verfahrensparteien auf Schutz ihrer vertraulichen Angaben und ihrer Geschäftsgeheimnisse abzuwägen. Der Grundsatz des Schutzes von vertraulichen Informationen und Geschäftsgeheimnissen muss so ausgestaltet sein, dass er mit den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes und der Wahrung der Verfahrensrechte der am Verfahren Beteiligten im Einklang steht und dass sichergestellt ist, dass insgesamt das Recht auf ein faires Verfahren beachtet wird. […]
Der Umstand, dass einzelne Aktenbestandteile nach § 17 Abs. 3 AVG von der Akteneinsicht ausgenommen werden, bedeutet vor diesem Hintergrund daher noch nicht zwingend, dass damit eine Verletzung des Rechts auf Parteiengehör im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG einhergeht, wenn die Behörde die entsprechenden Aktenbestandteile dennoch heranzieht. Zwar stellt es den Grundsatz jedes rechtsstaatlich geordneten behördlichen Verfahrens dar, dass es keine geheimen Beweismittel geben darf (so jeweils fallbezogen VwGH 17.6.2004, 2003/03/0157; 25.9.2014, 2011/07/0006). In bestimmten, außergewöhnlichen Fällen kann es aber zur Wahrung der Grundrechte eines Dritten bzw. anderer Verfahrensbeteiligter oder zum Schutz wichtiger Interessen der Allgemeinheit erforderlich sein, den Parteien bestimmte Informationen vorzuenthalten, solange sichergestellt ist, dass sowohl die Behörde als auch das im Rechtsmittelweg angerufene Verwaltungsgericht über alle entscheidungserheblichen Unterlagen vollumfänglich verfügen (vgl. EuGH 14.2.2008, Rs. C-450/06, Varec SA; weiters Hanslik, aaO, 139 ff.). Die den Verfahrensparteien vorenthaltenen Informationen sind dabei auf das unbedingt notwendige Ausmaß zu beschränken und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die Entscheidungsgrundlagen so zu begrenzen, dass vorzuenthaltende Informationen zur Entscheidungsfindung nicht herangezogen werden müssen. Die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht haben dabei die ihrer Vorgangsweise zugrunde liegende Abwägung zwischen Geheimhaltungsanspruch und Recht auf Akteneinsicht und damit Transparenz der Entscheidungsgrundlage nachvollziehbar zu begründen, sodass die Verfahrensparteien diese zum Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Kontrolle bzw. einer Revision an den
Grundsätzlich sind damit auf dem Boden des § 17 AVG effektiver Rechtsschutz (VfSlg 13.699/1994) und wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK) gewährleistet.“
4.) Im vorliegenden Fall wurden die in den Feststellungen C.6. und C.7. genannten Dokumente („Unbedenklichkeitsbescheinigungen“) bzw. die darin enthaltenen (Detail-) Informationen aufgrund eines entsprechenden Antrags der Beschwerdegegnerin gem. § 17 Abs. 3 AVG von der Akteneinsicht bzw. Vorlage an die Beschwerdeführer ausgenommen. Die Berücksichtigung dieser Information durch die Datenschutzbehörde war jedoch insofern erforderlich, als dass das Vorliegen einer schriftlichen „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ eine wesentliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Verarbeitung iSd § 151 GewO darstellt (vgl. Punkt D.2.).
5.) Dabei wäre es nicht möglich gewesen, die von der Akteneinsicht bzw. vom Parteiengehör ausgenommenen Beweismittel den Beschwerdeführern zu übermitteln, ohne dadurch vom Geheimhaltungsinteresse der Beschwerdegegnerin umfasste Informationen über ihre Geschäftsbeziehungen zu Dritten (Geschäftsgeheimnisse) offenzulegen.
6.) Gleichzeitig erweist sich das Interesse der Beschwerdeführer an der Kenntnis des gesamten Dokumentinhalts als insofern vermindert, als dass die Tatsache, dass die Erklärungen vorliegen, den Beschwerdeführern bekannt ist und somit die Vorenthaltung von Detailinformationen keine wesentliche Einschränkung der für die Beschwerdeführer maßgeblichen Verfahrenstransparenz darstellt. Im Übrigen war die rechtliche Würdigung der Erklärungen ohnedies amtswegig durch die Datenschutzbehörde vorzunehmen.
7.) Eine Abwägung dieser widerstreitenden Interessen im vorliegenden Fall führte daher dazu, dass diese Beweismittel den Beschwerdeführern nicht zugänglich gemacht werden konnten.“
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