digitaler Türspion – Zulässigkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab
Das BVwG hat sich in einer aktuellen Entscheidung (Erkenntnis vom 07.06.2022, W274 2233006-1) erneut mit den datenschutzrechtlichen Aspekten digitaler Türspione auseinandergesetzt.
Der Sachverhalt
Beim konkreten Anlassfall handelte es sich um zwei Nachbargrundstücke, wobei die jeweiligen Garteneingänge direkt gegenüberlagen.
Bei einem der Grundstücke wurde eine Videogegensprechanlage mit eingebauter Kamera bzw. ein digitaler Türspion installiert.
Die Funktionsweise der Anlage bestand im Zeigen von Echtzeitaufnahmen, allerdings ohne Speicherungsmöglichkeit. Zu Aufnahmen kam es immer erst nach Aktivierung der Anlage (von innen oder außen).
Die Kamera der Anlage war im Anlassfall so montiert, dass sie auch öffentliche Bereiche und Teile des gegenüberliegenden Grundstücks erfasste.
Die Beschwerdeführerin sah darin einen unzulässigen Eingriff in ihre Privatsphäre und einen Verstoß gegen geltendes (Datenschutz-)Recht. Das Vorhandensein der Anlage führe bei der Beschwerdeführerin zu einem „bedrückenden Gefühl einer Dauerüberwachung“.
Die Entscheidung des BVwG
Ohne näher darauf einzugehen, ging das BVwG – unter Bezugnahme auf eine ältere Entscheidung (Erkenntnis vom 18.12.2019, W112209492) – im Anlassfall davon aus, dass auch die Aufnahmen eines digitalen Türspions ohne Speicherfunktion unter die Definition einer Verarbeitung personenbezogener Daten iSd Art 4 Z 2 DSGVO fallen. Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht bleibt fraglich, da mE keine „Erhebung“ oder kein „Erfassen“ von Daten vorliegt, wenn es nur zu einer Echtzeitübertragung kommt (ohne, dass Daten gespeichert werden).
Davon ausgehend sah das BVwG beim Anlassfall daher die Notwendigkeit eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen (mangels anderer in Frage kommender Rechtsgrundlagen kam nur Art 6 Abs 1 lit f DSGVO in Frage).
Konkret ist das Interesse der Grundstückseigentümerin, sich vor dem Öffnen des Garten- bzw. Haustores von der Identität von BesucherInnen überzeugen zu können (um möglichen Gefahren vorzubeugen), den Interessen der Beschwerdeführerin entgegenzustellen.
Nachfolgende Erwägungen spielten bei der Interessenabwägung des BVwG eine maßgebliche Rolle:
· die Funktionsweise der Anlage: Im Anlassfall war die Anlage (nur) zu Echtzeitaufnahmen ohne Speicherungsmöglichkeit fähig. Zu einer „permanenten und durchgehenden“ Überwachung kam es nicht, da die Anlage immer erst aktiviert werden musste. Der Umstand, dass Aufnahmen auch ohne Betätigung durch die Außenstelle (also durch Betätigung von innen) möglich waren, schadete nicht.
· die örtlichen (Sicht-)Verhältnisse: Im Anlassfall bestand vom Haus aus ein teilweise beeinträchtigender Sichtschutz in Form eines Zauns. Die Anlage war für den zugrundeliegenden Zweck sohin „erforderlich“. Der Umstand, dass sich die Grundstückseigentümerin für einen (derart hohen) Zaun entschieden hatte, schadete nicht.
·
die Auflösung der Aufnahmen: Die Auflösung der
Aufnahmen war für die Identifikation von Personen grundsätzlich nicht geeignet. Die Anlage diente dem Zweck des Erkennens von Personen die sich unmittelbar vor dem Eingang befanden.
Dass über den zur Zweckerreichung notwendigen Raum hinaus, auch dahinterliegende öffentliche Bereiche und das Privatgrundstück der Beschwerdeführerin (mit „geringerer“ Auflösung) erkennbar waren,
wäre – so das BVwG – „technisch in Kauf zu nehmen“.
· die Montageweise der Kamera: Das BVwG stellte auch Erwägungen dazu an, ob – bei Erhaltung der Funktion der Anlage – eine „datenschutzfreundlichere“ Weise der Montage der Kamera (etwa indem der Winkel derselben geändert wird) möglich war. Im Anlassfall war dies nicht der Fall.
Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen sah das BVwG im Anlassfall den Betrieb eines Türspions mit Echtzeitübertragung als (datenschutz-)rechtlich zulässig an.
Die berechtigen Interessen der Grundstückseigentümerin an der konkreten Identitätsfeststellung würden den Grundrechten und Grundfreiheiten der Beschwerdeführerin – als betroffene Person der „Überwachung“ - überwiegen. Zu einer „Dauerüberwachung“ käme es durch die Anlage nicht.
Im Übrigen hielt das BVwG ein weiteres Mal fest, dass § 12 Abs 4 Z 1 DSG mangels Öffnungsklausel unanwendbar sei. Dass der OGH in Entscheidungen nach Inkrafttreten der DSGVO (6 Ob 150/19f) die §§ 12 f DSG noch für anwendbar gehalten habe, stehe dieser Rechtsansicht nicht entgegen.
Fazit:
1. ME ist fraglich, ob ein digitaler Türspion ohne Speicherfunktion (wie im Anlassfall) überhaupt unter die DSGVO fällt. Da die Anlage keine Daten aufzeichnet und lediglich – wie auch bei einem herkömmlichen Türspion – in Echtzeit Bildaufnahmen zeigt/überträgt, kann möglicherweise nicht von einer „Verarbeitung“ personenbezogener Daten gesprochen werden.
2. Im Hinblick auf die genannten Entscheidungen des BVwG empfiehlt es sich allerdings trotzdem, beim Einsatz derartiger Anlagen jedenfalls eine Interessenabwägung (wie oben dargestellt) vorzunehmen.
3. Ob die jeweilige Anlage (datenschutz-)rechtlich zulässig ist, wird letztlich – wie so häufig – von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Im Regelfall wird ein digitaler Türspion ohne Speicherfunktion mE rechtlich zulässig sein, sofern der Einsatz auf möglichst datenschutzkonforme und „schonende“ Weise erfolgt.
4. Anderes gilt etwa dann, wenn der digitale Türspion tatsächlich über eine Speicherfunktion verfügen sollte (möglicherweise auch über eine App gesteuert) oder es sich um (hoch) auflösende Aufnahmen handeln würde. Insbesondere in diesen Fällen empfiehlt es sich vor der Implementierung rechtliche Auskunft einzuholen.
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