Der EuGH hat am 04.05.2023 zum immateriellen Schadenersatzanspruch iSd Art 82 DSGVO eine richtungsweisende Entscheidung (C-300/21; Österreichische Post AG) gefällt.
Der bloße Verstoß gegen die DSGVO begründet keinen
Schadenersatzanspruch.
Der Schadenersatzanspruch hängt jedoch nicht davon ab, dass der entstandene immaterielle Schaden eine gewisse Erheblichkeit erreicht.
1. Anspruchsvoraussetzungen:
Der EuGH stellt in seinem Urteil vom 04.05.2023 fest, dass drei kumulative Voraussetzungen für den Ersatz eines entstandenen Schadens gegeben sein müssen:
- einen Verstoß gegen die DSGVO,
- einen materiellen oder immateriellen Schaden, der aus diesem Verstoß resultiert, und
- einen Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verstoß.
Demnach eröffnet nicht jeder Verstoß gegen die DSGVO für sich genommen den Schadenersatzanspruch.
Eine andere Auslegung ist gegen den klaren Wortlaut der DSGVO. Auch aus den ErwG ergibt sich, dass ein Verstoß nicht zwangsläufig zu einem Schaden führt, und es muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Versto0 und dem entstandenen Schaden bestehen.
Eine Klage auf Schadenersatz unterscheidet sich daher von anderen Rechtsbehelfen nach der DSGVO, bei denen unabhängig von einem entstandenen, individuellen Schaden ein Anspruch zB Beschwerdeverfahren bei der Aufsichtsbehörde (Art 77 DSGVO) besteht.
2. Erheblichkeitsschwelle:
Der EuGH stellt auch fest, dass der Schadenersatzanspruch nicht auf immaterielle Schäden beschränkt ist, die eine gewisse Erheblichkeit erreichen.
"In der DSGVO wird ein solches Erfordernis nicht erwähnt, und eine solche Beschränkung stünde zu dem vom Unionsgesetzgeber gewählten weiten Verständnis des Begriffs „Schaden“ im Widerspruch. Würde der Ersatz eines immateriellen Schadens von einer Erheblichkeitsschwelle abhängig gemacht, könnte dies zudem die Kohärenz der mit der DSGVO eingeführten Regelung beeinträchtigen. Die graduelle Abstufung, von der die Möglichkeit, Schadenersatz zu erhalten, abhinge, könnte nämlich je nach Beurteilung durch die angerufenen Gerichte unterschiedlich hoch ausfallen." (Zitat aus der Pressemitteilung vom 04.05.2023)
3. Bemessung des Schadenersatzanspruches:
Der EuGH hält fest, dass dazu die DSGVO keine Regelungen enthält!
Die Ausgestaltung von Klageverfahren, die den Schutz der Personen gewährleisten sollen, und auch die Kriterien für die Ermittlung des Umfanges des Schadenersatzes ist Aufgabe des Rechts des einzelnen Mitgliedstaates. Dabei ist das Prinzip der Äquivalenz und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten.
Der EuGH betont die Ausgleichsfunktion des Schadenersatzanspruches und weist darauf hin, dass es zu einem vollständigen und wirksamen Ersatz des erlittenen Schadens kommen soll.
Meins Erachtens ist damit der Argumentation, dass der immaterielle Schadenersatzanspruch "Strafcharakter" haben soll, die Grundlage entzogen.
RNr. 58 des Urteils:
"Wie der Generalanwalt in den Nrn. 39, 49 und 52 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, ist in Anbetracht der Ausgleichsfunktion des in Art. 82 DSGVO vorgesehenen Schadenersatzanspruchs eine auf diese Bestimmung gestützte finanzielle Entschädigung als „vollständig und wirksam“ anzusehen, wenn sie es ermöglicht, den aufgrund des Verstoßes gegen diese Verordnung konkret erlittenen Schaden in vollem Umfang auszugleichen, ohne dass ein solcher vollumfänglicher Ausgleich die Verhängung von Strafschadenersatz erfordert."
Die Frage, in welcher Höhe Ersatz zu gewähren ist, wenn es zu Konsequenzen durch eine Normverletzung kommt, die einen Schaden darstellen, ist jedoch schwierig zu beantworten. Der erlittene Schaden ist vollständig "auszugleichen".
Es ist jedoch klargestellt, dass die Person, die einen (immateriellen) Schadenersatzanspruch geltend machen möchte, nachvollziehbar und objektivierbar darzustellen (vorzubringen) und auch nachzuweisen (unter Beweis zu stellen) hat, das es (negative) Auswirkungen durch die Rechtsverletzung gegeben hat.
RNr. 50 des Urteils:
"Allerdings bedeutet diese Auslegung nicht, dass eine Person, die von einem Verstoß gegen die DSGVO betroffen ist, der für sie negative Folgen gehabt hat, vom Nachweis befreit
wäre, dass diese Folgen einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 dieser Verordnung darstellen!"
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